hp-von-katja83
  Klassenzimmer
 

Eines Tages bat eine Lehrerin ihre Schüler,

die Namen aller anderen Schüler in der Klasse

auf ein Blatt Papier zu schreiben

und ein wenig Platz neben dem Namen zu lassen.

Dann sagte sie zu den Schülern, sie sollten überlegen,

was das Netteste ist,

daß sie über jeden ihrer Klassenkameraden sagen können

und das sollten sie neben den Namen schreiben.

Es dauerte die ganze Stunde, bis jeder fertig war

und bevor sie das Klassenzimmer verließen,

gab jeder der Lehrerin sein Blatt ab.

Am Wochende schrieb die Lehrerin

jeden Schülernamen auf ein Blatt Papier

und daneben die Liste der netten Bemerkungen,

die die Mitschüler über den einzelnen aufgeschrieben hatten.

Am Montag gab sie jedem Schüler

und jeder Schülerin die Liste zurück.

Schon nach kurzer Zeit lächelten alle.

"Wirklich"? hörte man flüstern.

"Ich wußte gar nicht,

daß ich irgend jemanden was bedeute" und "

ich wußte nicht, daß mich die anderen so mögen"

waren die Kommentare.

Niemanden erwähnte danach die Listen jemals wieder.

Die Lehrerin wußte nicht,

ob die Schüler sie untereinander

oder mit den Eltern diskutiert hatten,

aber das machte nichts aus.

Die Übung hatte ihren Zweck erfüllt,

die Schüler und Schülerinnen

waren mit sich und den anderen zufrieden.

Einige Jahre später starb einer der Schüler

an den Folgen eines tragischen Unfalls

und die Lehrerin ging zum Begräbnis dieses Schülers.

Die Kirche war überfüllt mit vielen Freunden

und allen ehemaligen Schulkameraden.

Einer nach dem anderen,

der den jungen Mann geliebt hatte,

ging an dem Sarg vorbei und erteilte ihm die letzte Ehre.

Die Lehrerin ging als letzte und betete am Sarg.

Als sie dort stand, sagte jemand,

es mußte die Großmutter des verstorbneen Schülers sein.

"Waren sie Marc´s Lehrerin?"

Die Lehrerin nickte und sagte "Ja".

Dann sagte Marc`s Großmutter,

"Marc hat sehr oft von ihnen gesprochen."

Nach dem Begräbnis versammelten

sich Marc`s Schulfreunde vor der Kirche

und auch Marc`s Eltern waren anwesend.

Sie warteten offenbar sehnsüchtig darauf,

mit der Lehrerin zu sprechen.

" Wir wollten ihnen etwas zeigen,"

sagte der Vater und zog eine Geldbörse aus seiner Tasche.

"Dieses Blatt trug Marc bei sich, als er tödlich verunglückte.

Wir dachten, sie würden es vielleicht erkennen?"

Aus den Geldbörse zog er ein stark abgenutztes Blatt,

daß offensichtlich zusammengeklebt,

viele Male gefaltet und wieder auseinandergefaltet worden war.

Die Lehrerin wußte ohne hinzusehen,

daß dies eines der Blätter war,

auf denen die netten Dinge standen,

die seine Klassenkameraden über Marc geschrieben hatten.

"Wir möchten ihnen sehr dafür danken,

daß sie das gemacht hatten" sagte Marc`s Mutter.

"Wie sie sehen können hat Marc das sehr geschätzt".

Alle früheren Schüler versammelten sich um die Lehrerin.

Fabienne lächelte ein bisschen und sagte:

"Ich habe meine Liste auch noch,

sie ist in der obersten Lade meines Schreibtisches."

Patrick`s Frau sagte:

"Patrick bat mich die Liste in unser Hochzeitsalbum zu kleben."

"Ich habe meine auch noch,"sagte Stefanie,

"sie ist in meinem Tagebuch."

Dann griff Angelika, eine andere Mitschülerin in ihre Agenda

und zeigte ihre abgeriffene und ausgefranste Liste den anderen.

"Ich trage sie immer bei mir," sagte Angelika

und meinte dann, ohne mit der Wimper zu zucken;

"Ich glaube, wir haben alle die Liste aufbewahrt."

Die Lehrerin war so gerührt,

daß sie sich setzen mußte und weinte.

Sie weinte um Marc und für alle seine Freunde,

die ihn nie mehr sehen würden.

Im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen vergessen wir oft,

daß jedes Leben eines Tages endet.

Und da wir nicht wissen, wann dieser Tag sein wird.

Deshalb sollte man den Menschen,

die man liebt und um die man sich sorgt sagen,

daß sie etwas Besonderes und Wichtiges sind.

Sag es ihnen, bevor es zu spät ist!

 
 
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